IM ANFANG WAR DAS WORT*

Am Anfang kam der christliche Kult ohne Bilder aus…

…und heute blicken wir auf eine unglaubliche Fülle von Bildern zurück, die das Fleisch gewordene Wort darstellen. Alleine die Bildtypen, die die Kunstwissenschaft unterscheidet je nachdem, wie Jesus in unterschiedlichen Posen, mit unterschiedlichen Attributen, in unterschiedlichen Szenen gezeigt wird, sind unfassbar zahlreich.

Wie kann ich meine Aufgabe, mich mit der Darstellung Jesu auseinanderzustezen, bewältigen? Selbst wenn ich mich ausschließlich auf den Ecce homo-Bildtyp beschränken wollte, müsste ich feststellen, dass auch hier ein unerschöpfbarer Fundus an Bildern vorhanden ist. Um bei dem Ecce homo zu bleiben, ist die formale Vielfalt der künstlerischen Formulierungen trotz wiederholter Muster beeindruckend. Seit der Renaissance und auch in der Moderne ist Ecce homo oftmals als Büste oder Halbfigur dargestellt, wodurch die Person Christi und sein Leiden in den unmittelbaren Fokus gerückt wird. Bei den Panorama-Szenarien aus dem 15. Jahrhundert (und natürlich auch später, wie bei Rembrandt oder Munkácsy), die ebenfalls als Ecce homo bezeichnet werden, geht es um die Zurschaustellung Jesu vor dem jüdischen Volk und sie sind mehr erzählerischer Natur.

Giovan Francesco Barbieri (1599-1666): Ecce homo

Ich möchte mich zudem gar nicht auf diesen einen Bildtyp beschränken. Ich möchte das Jesus-Bild in seinem ganzen Reichtum sehen, verstehen und reflektieren. Dass ich in der kurzen Zeit nicht alles recherchieren und betrachten kann, ist mir natürlich klar. Wie soll ich vorgehen?

Mich ganz konkret an einzelnen Bildern abzuarbeiten, um mich dadurch dem Ganzen zu nähern, bietet sich logisch an. Das Ergebnis könnte sich dann in Form von bildlichen Paraphrasen manifestieren. In diesem Fall wird meine Arbeit zur Appropriation – eine durchaus spannende künstlerische Methode, deren sich Künstler bereits in vergangenen Jahrhunderten gerne bedienten. Mit dieser Methode würde ich mich quasi in die Tradition der christlichen Kunst direkt einreihen.

Emese Kazár: Begegnung. 2015, Öl/Leinwand, 120 x 70 cm

Die andere Möglichkeit wäre, erstmal alles, was mich interessiert, zu lesen und zu betrachten. Um im Anschluß, wie durch einen Filter, das Gesehene in meine Malerei zu transformieren und dabei möglicherweise alles durcheinaderzumischen. In meiner üblichen künstlerischen Praxis geschieht dies auf eine ganz natürliche Weise. Dadurch entstehen zwar kunsthistorische Bezugnahmen, die jedoch für den Betrachter nicht zwingend zu erkennen sind. So zum Beispiel meine Arbeit Begegnung aus dem Jahr 2015 entstand im Zuge meiner Beschäftigung mit den Infantinen-Porträts von Diego Velázquez. Mich interessierte die Determiniertheit der Identität der kleinen Prinzessin, die bereits im Kindesalter verlobt wurde. Das hat etwas Beklemmendes, obwohl ihr königliches Leben sicherlich kein allzu schlechtes gewesen sein muss.

Letzlich kann ich die beiden Möglichkeiten auch mischen oder mich zusätzlich anderer künstlerischen Verfahren bedienen. Für mich sind Kirchen (zumindest die katholischen) als architektonische Räume Zeugen der europäischen Geschichte: Durch die Schätze, die sie im Laufe der Zeit hervorgebracht haben und aufbewahren, geben sie – wie ein Bohrkern – Einblicke in unterschiedliche Epochen und konservieren deren Glauben, Kunst und Ideologien.

*Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und das Wort war Gott. Mit diesem Satz beginnt das Johannesevangelium.

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