Jesus ist nicht nur ein Zeichen – er war auch ein Mensch. Sein Körper wurde gefoltert und geopfert. Nicht nur im übertragenen Sinn steht er für alle Opfer dieser Welt. Und was könnte seine Opfergabe besser zum Ausdruck bringen als das Zeigen seiner Blöße. Wie Hartmut Böhme formuliert: „Der nackte Mann ist eben immer auch der Gefahr der Demütigung, Verletzung, Beschämung, ja der Preisgabe, Folterung und Hinrichtung ausgesetzt.“ Die erzwungene Nacktheit ist die Demütigung. [1]
Wenn es um die Passion Jesu geht, wäre es demnach folgerichtig, ihn entblößt, ohne den Schutz eines Lendentuches zu zeigen, um sein Leid in voller Härte wiedergeben zu können. In der Geschichte der bildlichen Darstellungen von Christus ist die Abbildung seiner Genitalien in nackter Form jedoch generell ein Tabu.
Die Renaissance als Epoche scheint eine Ausnahme zu sein. Leo Steinberg [2] hat in seinem kontrovers diskutierten Buch gezeigt, dass es in der Renaissance sogar eine Notwendigkeit gewesen ist, Jesus nackt darzustellen, sowohl den Opferleib als auch das Christuskind. Damals bedurfte es nämlich weniger den Beweis dafür, dass Jesus Gott ist. Was erklärt werden musste, war sein menschliches Inkarnat. Denn wenn er nur eine göttliche Natur gehabt hätte, wäre seine Auferstehung kein Zeichen für die Gnade Gottes für die Menschheit gewesen. Für seine menschliche Natur stand seine Männlichkeit symbolhaft. Die Kunst war das vermittelnde Medium, um diese These zu behaupten und den Beweis zu verbreiten.
Natürlich gibt es sehr viele Darstellungen mit einem Tuch über die Hüfte von Christus, die aus der Renaissance stammen. Doch viele andere mit seinem nackten männlichen Körper wurden erst später im Barock mit Lendentüchern versehen – gemalte Bilder wie plastische Crucifixae.
Wie sieht es heute aus? Wir sind heute offen und gehen nicht nur mit der Nacktheit völlig anders um, sondern wir betrachten auch Jesus mit anderen Augen. Viele Jesus-Darstellungen wurden gereinigt und restauriert und in ihren ursprünglichen Zustand versetzt, um den historischen Blick auf die Kunst zu gewähren. Andererseits sind wir nicht mehr eifrig daran interessiert, seine Blöße zu sehen, denn wir brauchen nicht den Beweis für seine Menschwerdung. Auch kennen wir ihn – in Folge der barocken Maßnahmen der Verhüllungen – meist ohnehin mit Lendentuch und wir staunen eher, wenn uns ein nackter Jesus in einem alten Kunstwerk begegnet.
Was bedeutet aber der Körper Jesu in einer modernen, wohlhabenden, aufgeklärten Gesellschaft? Wenn er nackt auf dem Kreuz gemalt wird, wie häufig in der Nachkriegskunst, dann wohl mit der Absicht der Schokierung und mit dem Hinweis auf die Brutalität der Gewalt, die Menschen einander auch heute noch zufügen, man denke nur an Bürgerkriege.
Ein nackter männlicher Körper kann aber auch etwas ganz anderes bedeuten als über Verletzlichkeit zu sprechen. Nackte Darstellungen des Mannes, die den Schambereich isoliert, dekontextualisiert, mit einem fotografischem Blick einfangen, stammen häufig von Künstlerinnen.
Eine der bekanntesten deutschen Fotokünstlerinnen wurde Mitte der 80er Jahre gerade mit solchen Bildern berühmt. Herlinde Koelbl benennt ihre Modelle in den Werktiteln und dadurch zeichnet sie diese als Porträts aus. Die Porträtierten zeigt sie sehr menschlich, körperlich, sinnlich. Von den Körpern der Männern sind in ihren Fotografien oft nur Ausschnitte zu sehen.
Auch auf dem Foto Male Nude: California (1982) der Fotografin Sarah Kent ist ein Ausschnitt eines nackten männlichen Körpers zu sehen: im Zentrum des Bildes die Genitalien in Frontalansicht. Der Auschnitt endet oben unterhalb des Bauchnabels und unten auf der mittleren Höhe des Oberschenkels. Der rechte Unterarm und die Hand sind ebenfalls auf dem Bild, und der Torso steht unmittelbar vor einer felsigen Wand. Die Künstlerin beschreibt die Arbeit als Abbildung eines geliebten Körpers [3]. Auch die Malerin Emilia Kallock verortet ihre Aquarell-Serie mit dem Titel Penis im erotischen Bereich.
Ganz anders beschäftigte sich die berühmte US-Amerikanische Malerin Georgia O’Keeffe (1887-1986) mit der fotografischen Nahsicht auf scheinbare – Blumen, und vergrößerte sie diese zu großformatigen Gemälden, die das ursprüngliche Motiv ins Abstrakte überführten. Zu ihrer Zeit war der fotografische Blick in der Malerei noch ein Neuland.
Die schottische Malerin Ellen Altfest richtet in ihrem Werk den Blick ebenfalls auf kleine Details: Baumrinder, Textilfragmente, oder Körperteile wie die Achselhöhle (2005). Sie setzt diese in minituöser Malweise in kleinen Formaten um. Auch der männliche Schritt taucht in ihrem Motivrepertoire auf. Die Bilderserie Penis (2006) ist eine nüchterne, distanzierte Bestandsaufnahme mit einem (nur scheinbar) naturwissenschaftlichen Blick.
Auch heute haben solche Bildfindungen in der Kunst immer eine gewisse Konnotation. Wie Germaine Greer anmerkt [3]: „Abbildungen, auf denen nur die Genitalien zu sehen sind, findet man in der Regel nur in medizinischen Fachbüchern und in der Pornografie“. Deswegen bedeutet ein Ausschnitt des Schambereichs in der Kunst, dass nicht zuletzt unser voyeuristischer Blick zum Thema gemacht wird.
[Meine eigene Arbeit Disaster (2014) sei hier als Beispiel herangezogen. Der Ausschnitt und das Motiv zitieren Gustav Courbets berüchtigtes Werk Der Ursprung der Welt (1866). Durch die Schichtung der Malerei entstehen in meiner Arbeit jedoch unterschiedliche Bildebenden, so dass der nur grob und in raschen Pinselstrichen angedeutete Pubis und Vulva von der Malhaut, die den Körper andeutet, getrennt ist. Die Fragmentierung des Körpers durch ihre Platzierung auf unterschiedlichen Bildebenen und die Abstraktion negieren genau das, was sie andeuten zu zeigen.]
Was diese Übersicht mit meinem aktuellen Arbeitsprozess zu tun hat? An dieser Stelle sei nicht zu viel verraten. Tatsache ist, wenn es um den Männerkörper geht, kann ich ihn auch nur mit Frauenaugen betrachten. So wie meine Vorgängerinnen konzentriere ich mich auf die Details in Nahsicht. Bei meiner Arbeit geht es jedoch um einen Mann, der erotisch gänzlich unnahbar ist.
Literatur
[1] Hartmut Böhme, Die Nackten und die Toten. Monopol 12: 58-62 (2012)
[2] Leon Steinberg, The Sexuality of Christ in Renaissance Art and Modern Oblivion. The University of Chicago Press, 1983
[3] Germaine Greer, Der Knabe. Gerstenberg Verlag, 2003 (Im Original: Germaine Greer, The Boy. Thames and Hudson, London 2003)